Podcasts

Marina sitzt wegen versuchten Mordes für über zehn Jahre im Gefängnis. Ihr Ex-Partner hat ihren Anschlag auf ihn nur knapp überlebt. Die beiden haben eine sehr lange und, auf beiden Seiten, gewaltvolle Beziehung hinter sich.
Die Kinder und Enkelkinder sind schockiert von ihrer Tat und Verhaftung, trotzdem können sie sich ein Leben ohne Marina nicht vorstellen. Die sitzt ihre Strafe ab und muss sich an den Gefängnisalltag gewöhnen. Aber es fällt ihr schwer, denn die Isolation und die strengen Regeln nagen an Marina. Aber hat sie es anders verdient? Schließlich hat sie versucht, einen anderen Menschen zu töten.
Uta Eisenhardt und Martina Reuter haben mit Marina im Frauengefängnis gesprochen. In ihrem Interview beschäftigen sie sich mit der Frage, wie zeitgemäß Haftstrafen noch sind und sie berichten, ob Marina wirklich über zehn Jahre im geschlossenen Vollzug verbringen muss oder ob es einen Weg gibt, auf dem sie früher in die Freiheit zurückkehren kann.

Im November 2010 verschwinden in dem Dörfchen Bodenfelde kurz hintereinander zwei Teenager. Was ist dort passiert? Gemeinsam mit der Kriminalreporterin Uta Eisenhardt, die vor Ort über den Fall berichtet hat, spricht der Host Philipp Fleiter über einen der grausamsten Fälle der letzten Jahre.

Berlin-Zehlendorf, 2014. Klaus Kaufmann wird vor seiner Wohnung niedergestochen. Er überlebt – schwer verletzt. Im Krankenhaus wird er von der Polizei befragt. Kaufmann ahnt, wer ihm nach dem Leben trachtet. Und das nicht zum ersten Mal. Uta Eisenhardt hat mit Klaus Kaufmann gesprochen, einem Mann, der aus Liebe erst zum Täter und dann zum Opfer wurde.

In einem Berliner Haus bricht mitten in der Nacht Feuer aus. Ein alter Mann kommt uns Leben. Und seine Tochter gerät in Verdacht…
Uta Eisenhardt ist zu Gast bei „Zeit Verbrechen“ und unterhält sich mit Sabine Rückert und Andreas Sentker über selbstherrliche Gutachter und die Fallstricke der analytischen Chemie.

Ob es um die Arbeit von verdeckten Ermittlern geht oder um einen Serienmörder, der 2012 innerhalb eines Monats drei Menschen tötet und beinahe noch einen weiteren, ob ein vermeintlicher Justizirrtum sich als schlechte Polizeiführung entpuppt, die von der Verteidigung geschickt zugunsten des Angeklagten genutzt wird oder ob ein Mann schon zum zweiten Mal die Leiche einer Frau findet, mit der er zuvor zusammengelebt hatte: Die Gerichtsreporterin Uta Eisenhardt und ihre Kollegin Martina Reuter haben sich vier Fälle mit etlichen Wendungen und Verstrickungen herausgesucht. In mehreren Folgen sezieren sie diese besonderen Geschichten mit der ihnen eigenen Liebe zum Detail – spannend bis zum Schluss.
Staffel 1 „Der Fall Georgine Krüger“
Staffel 2 „Mord im Darkroom“
Staffel 3 „Der Maskenmann“
Staffel 4 „Die zweite Frau“

Cold Case Ermittler stoßen immer wieder auf ungeklärte Mordfälle. Im September 1987 wird in Berlin-Neukölln die 30-jährige Mutter Annegret getötet. Kann der Fall endlich gelöst werden? Uta Eisenhardt und Martina Reuter tauchen in eine Zeit ein, in der es die Forensiker gewohnt waren, Täter anhand von Blutgruppen zu identifizieren. Doch aus England kommt die Nachricht, dass eine neue Methode entdeckt worden sei, mit der man DNA Spuren analysieren könne. Der zehnteilige Podcast erzählt anhand von zwei spannenden, miteinander verwobenen Kriminalfällen vom mühsamen Start einer forensischen Methode, die heute zum kriminaltechnischen Standard gehört.

Christin wird im Juni 2012 im beschaulichen Berlin-Lübars ermordet aufgefunden. Was weiß ihr Freund Robin über den Abend zuvor? Warum ist die junge Frau vor Kurzem in ihr Elternhaus zurückgezogen? Wer ist die andere Frau, die Christin mitten in der Nacht auf einem Parkplatz treffen will? Martina Reuter und Uta Eisenhardt rekonstruieren die Geschehnisse vor und nach Christins Tod, Polizist*innen der Mordkommission schildern die Ermittlungen hautnah, die mutmaßlichen Täter*innen erklären ihre Unschuld. Kann der darauffolgende Gerichtsprozess die Wahrheit feststellen?
Sachbücher




Film & Fernsehen

Darkroom – Tödliche Tropfen
Für diesen Film hat Uta Eisenhardt den Filmregisseur Rosa von Praunheim beim Drehbuch und bei den Dreharbeiten beraten. Im Film tritt sie in den Szenen, die vor Gericht spielen, als Gast auf.

Mord auf dem Reiterhof – Verbrechen von nebenan
Gastauftritt, gemeinsam mit Podcastkollegin Martina Reuter
Texte
Manuel H. kümmert sich stets rührend um seine Partnerinnen und scheint am Boden zerstört zu sein, als eine nach der anderen dahinsiecht. Nun steht er vor Gericht, denn: Seine Fürsorge war mutmaßlich mörderisch.
Romantisch starteten all seine Beziehungen. Liebevoll sei er zu seinen Frauen gewesen, hilfsbereit und freundlich zu deren Eltern und Großeltern. Harmonisch verbrachten sie die gemeinsame Zeit, sogar die Trennungen verliefen fair. Nur im Rückblick, das sagen drei seiner Ex-Partnerinnen im Zeugenstand des Kölner Landgerichts, erscheint ihnen der 43-jährige Angeklagte vielleicht ein bisschen zu kontrollierend, zu manipulativ und gefühlskalt.
Drei Frauen soll Manuel H. mit Thallium vergiftet haben. Zwei der Frauen überlebten das nicht, bei seiner schwangeren Lebensgefährtin war es knapp. Die gemeinsame Tochter starb zwei Monate nach ihrer Geburt. Am 30. November 2021 wurde H. verhaftet. In seiner Jackentasche fand man thalliumhaltiges Pulver in einer Dose und eine mit Kaliumchlorid gefüllte Spritze. Die Anklage gegen ihn lautet auf zweifachen Mord, versuchten Mord und versuchten Schwangerschaftsabbruch.
Aber warum sollte der Mann, der keine Geldprobleme und mit seinen Opfern keine Konflikte hatte, ein Frauen-Serienmörder sein?
Auf der Suche nach Antworten forscht die 20. Große Strafkammer in der Vergangenheit des früh ergrauten, in der Untersuchungshaft schwerer gewordenen Mannes, in dessen ebenmäßigem Gesicht eine leichte Schläfrigkeit zu liegen scheint.
Das „schwarze Schaf“ der Familie
H. wurde in Solingen geboren, in eine wohlhabende vierköpfige Familie, in der alle außer ihm Bankkaufleute waren, sein Vater sogar in leitender Position. Er begeisterte sich für Salsa und Discofox und für Kung-Fu. Nach dem Abitur wollte er Pilot werden, scheiterte aber am Eignungstest. Er studierte, wechselte mehrfach Universitäten und Fachrichtungen, bis er schließlich aufgab, ohne seine Eltern zu informieren. Als sie es merkten, fühlten sie sich betrogen, wie sie im Gespräch mit einer Ermittlungsrichterin bekundeten.
H. wurde Krankenpfleger und qualifizierte sich zur Hygienefachkraft. Der Beruf lag ihm. Den Ansprüchen seiner Eltern hätte er nicht genügt, so sagt es seine erste Ehefrau Sabrina vor Gericht. Auch sie fühlte sich nicht akzeptiert: „Ich war nur die Altenpflegerin.“ H. sei im Kontakt zu seiner Familie angespannt gewesen, habe sich immer als „schwarzes Schaf“ gefühlt.
An Weihnachten 2011 kam der große Clash. Auf Wunsch von Sabrina brach H. mit seiner Familie. Das junge Paar war unternehmungslustig, Kinder wollte es nicht, es schaffte sich Hasen an. Seltsamerweise starben die jungen Tiere rasch. Das letzte hatte kurz vor dem Tod Krampfanfälle, drehte sich beständig und rannte mit dem Kopf gegen die Stallwände…
https://www.sueddeutsche.de/panorama/mordprozess-koeln-thallium-frauen-vergiftet-1.5719825?reduced=true
Süddeutsche Zeitung, 22. Dezember 2022
Muttersöhnchen, erfahrener Segler, notorischer Betrüger: Ertrank Christoph H. wirklich in der Ostsee, als er und sein Boot plötzlich verschwinden?
Der 7. Oktober 2019 ist ein Montag. Zu dieser Jahreszeit befinden sich bereits viele Yachten im Winterlager. Auch im riesigen Hafen Kiel-Schilksee am Nordwestausgang der Kieler Förde haben sich die Stege geleert. Es ist 16.35 Uhr, als ein 5,70 Meter langer amerikanischer Silverliner ausläuft. Ein schlanker, blonder Mann steht am Steuer des 41 Jahre alten Motorbootes „Santiano“.
Er schlägt einen nördlichen Kurs ein, Richtung Dänische Südsee. Das Meer ist ruhig und etwa zehn Grad Celsius warm, in zwei Stunden wird die Sonne untergehen. Mit seinem 140-PS-Motor sollte Christoph H. es schaffen, rechtzeitig in Bagenkop anzukommen, wo er für zwei Nächte eine Unterkunft gebucht hat. Doch er kommt nie an.
Drei Tage nach seinem Auslaufen meldet ihn seine Frau Olena als vermisst. Die Kieler Wasserschutzpolizei versucht zunächst nur, den Aufenthaltsort des Vermissten zu ermitteln, denn jeder Erwachsene darf sich grundsätzlich frei bewegen. Per Handy erreichen die Beamten lediglich die Mobilbox von Christoph H. Durch eine Datenabfrage erfahren sie, dass der Vermisste zuletzt in einem ausländischen Funkmast eingeloggt gewesen war.
Die Beamten machen nicht viel Hoffnung
Die Beamten machen Olena H. nicht viel Hoffnung, ihren Mann nach drei Tagen noch rechtzeitig zu finden. Eine, maximal zwei Stunden könnte er im Meer überleben. Olena H. reagiert gefasst. Sie berichtet von einem leeren Karton, den sie zu Hause gefunden hatte. Darin hatte sich ein aufblasbares Schlauchboot befunden. Vielleicht habe ihr Mann dieses an Bord gehabt und sich damit retten können?
Um 18.47 Uhr eröffnet die Seenotleitung Bremen einen Einsatz, der mehr als 26 Stunden dauern wird. Acht Seenotrettungsboote beteiligten sich daran, darunter die „Hans Hackmack“ von der Station Grömitz, die „Gerhard Elsner“ von der Freiwilligen-Station Eckernförde und die „Ursula Dettmann“ von der Freiwilligen-Station Gelting. Involviert sind noch weitere fünf Behördenfahrzeuge sowie das Bundespolizeiboot „Bayreuth“.
Ein Marine-Hubschrauber und ein Ölüberwachungsflugzeug unterstützen die Suche von der Luft aus. Mehrfach funkt die Seenotküstenfunkstelle Bremen Rescue Radio den Seenotrettern eine Dringlichkeitsmeldung und bittet alle Schiffe in der Kieler Bucht, Ausschau nach dem Schiffbrüchigen sowie der vermissten und möglicherweise nur halb gesunkenen „Santiano“ zu halten. Eine Segelyacht und ein Frachter folgen außerdem dem Aufruf.
Dabei hatte ein Spaziergänger bereits am 8. Oktober 2019 den Bug eines gesunkenen Bootes gesichtet, 300 bis 400 Meter vor der Küste von Schönberg, gleich östlich der Kieler Förde, entfernt. Am 11. Oktober 2019 wird genau dieses Boot als die „Santiano“ identifiziert und vom Technischen Hilfswerk geborgen. Da sich an Bord keine Person befindet, suchen die Seenotretter weiter rund um das Boot. Erst um 21 Uhr wird der Einsatz ergebnislos abgebrochen.
Sein erster Fall
Die Ermittlungen übernimmt Torben M. von der Kriminalpolizei Kiel. Der 23-Jährige ist schlank und sportlich, die hellbraunen Haare trägt er kurz. In seiner Freizeit spielt er Fußball. Er ist umgänglich und engagiert. Seit zehn Wochen erst arbeitet er in der Dienststelle für vermisste Personen. Die Suche nach Christoph H. ist sein erster Fall…
https://floatmagazin.de/leute/der-scheintote-skipper-float-true-crime/
Float, 15. Januar 2021
Er konnte nicht ohne sie. Nicht gut war, dass auch sie nicht ohne ihn konnte.
Als sie seine Kontaktanzeige in der Zeitschrift „Fit for Fun“ las, Tolga*, 22, 1,83 m, sportlich, dazu seine Telefonnummer, griff sie spontan zum Hörer. Reden liegt ihr mehr als Schreiben. Sie war damals 29, geschieden und Mutter von drei Kindern. Kurz zuvor hatte sie eine unglückliche Liebesgeschichte mit einem türkischen Mann gehabt, der sich am Ende gegen sie entschieden und eine Türkin geheiratet hatte. Marina* war darüber zwar immer noch traurig, fühlte sich aber bereit für einen neuen Partner.
Sie lud Tolga zu sich ein. Er sah gut aus, dunkle Augen und Haare. Er hatte seine Gitarre dabei, weil er zuvor bei einem Freund gewesen war, um gemeinsam Musik zu machen. Marina spielte ebenfalls Gitarre. Sie mochte diesen hilfsbereiten und sanftmütigen Mann, der nicht viel redete, lieber zuhörte, der gern kuschelte und zärtlich war. Und es zeigte sich bald, dass er auch mit ihren drei Kindern gut zurechtkam.
Sie wurden ein Paar. Sie: eine kleine Frau mit viel Energie und klaren Vorstellungen. Er: introvertiert, der Ruhepol in ihrem unsteten Leben. Dass er keine Arbeit hatte, nahm sie hin. Dafür holte er manchmal ihre Kinder vom Kindergarten und Hort ab. Dass er schnell vom Alltag überfordert war, das, so dachte sie, ließe sich ändern. Sie unterstützte ihn. Und verteidigte ihn, wenn jemand seinen Lebensstil kritisierte. Wichtig war doch, dass sie ihn mochte. Sie brauchte keinen Ernährer für sich und ihre Kinder. Bald zog Tolga bei ihr ein.
Wenn Marina heute im Interview über diese erste Zeit spricht, wird deutlich, wie glücklich sie damals war, sie lacht immer wieder, gestikuliert mit den Händen, und manchmal springt sie sogar auf, wenn sie eine Szene von damals nachspielt.
Sie war einige Monate mit Tolga zusammen, als sie sein aufgeschlagenes Tagebuch sah. Er schrieb darin über Sex mit einem Mann. Sie stellte ihn zur Rede. Er verteidigte sich, man dürfe doch wohl mal etwas ausprobieren, aber er war ihr verbal nicht gewachsen. Er wurde wütend und schubste sie. Es war das erste Mal, dass sie von einem Mann körperlich angegangen wurde.
Marina hatte von Frauen gehört, die von ihren Partnern geschlagen wurden und den Männern immer wieder verziehen. Alles Co-Abhängige mit Helfersyndrom, davon war sie überzeugt. Sie würde sich von keinem Mann angreifen lassen. Noch am selben Tag setzte sie Tolga vor die Tür.
Er aber wollte sich nicht von ihr trennen. Es zog sich über Wochen. Er entschuldigte sich, erzählte ihr von seiner Kindheit. Von den Eltern, die ihn weggegeben hätten in den ersten Lebensjahren, zu Verwandten in die Türkei. Dass er dort missbraucht worden sei. Dass er seine jüngere Schwester erst kennengelernt habe, als er bereits zur Schule ging. Dass er unter Depressionen leide, deswegen in einer psychiatrischen Klinik gewesen sei und sich in der Zwischenzeit um eine Therapeutin gekümmert habe. Er habe gelernt, mit seiner Aggression umzugehen. Wenn er in Zukunft diese Wut spüre, werde er den Raum verlassen und warten, bis er sich wieder beruhigt hat. Marina glaubte ihm, dass er sich ändern würde, ihr zuliebe. Und sie wollte ihm helfen. Doch es gab wieder Streit. Wenn ihm die Argumente ausgingen, wurde er handgreiflich. Er war eifersüchtig, wollte nicht, dass sie sich mit Ex-Freunden traf.
Seine Angst, sie zu verlieren, sei wohl sehr groß gewesen, sagt Marina heute. Sie ist noch immer eine sehr attraktive Frau. Ihre Erscheinung wirkt wie ein Kontrast zu diesem kahlen Raum, in dem sie sitzt und erzählt. Sie hat sich geschminkt, die Fingernägel sorgfältig lackiert. Sie trägt einen engen Kaschmir-Pullover, der ihren sportlich-schlanken Körper zur Geltung bringt. Marina ist es gewohnt, Blicke auf sich zu ziehen.
Einmal geriet Tolga mit Marinas ältestem Sohn aneinander. Der Neunjährige sagte zu seiner Mutter: „Der Kanake soll raus!“ Woraufhin sich Tolga auf ihn stürzte. Marina ging dazwischen. Sie erinnert sich noch genau an diesen Nachmittag: „Er musste sofort meine Wohnung verlassen. Eigentlich hätte ich mir da sagen müssen: Bei dem läuft es nicht richtig, das geht gar nicht. Hab ich aber nicht.“ Warum, kann sie sich bis heute nicht erklären. Aber sie wisse, was sie ihren Kindern zugemutet habe. Sie findet es unverzeihlich.
Tolga entschuldigte sich wieder. Und irgendwann machten sie weiter. Mit ihrer Beziehung und den Streitigkeiten. Es blieb nicht beim Schubsen. Tolga schlug zu. Und anschließend bereute er, schrieb Briefe, gelobte Besserung, kletterte auf ihren Balkon, schlief nachts vor ihrer Wohnungstür. Er bettelte: „Bitte, lass mich rein!“ Er klingelte, klopfte, flehte um Vergebung. Seine Anhänglichkeit rührte sie, sie fühlte sich geschmeichelt. Nahm ihn wieder auf.
Und Tolga wurde immer grober. Einmal warf er ihr ein Gewürzglas an den Kopf, sie ging zu Boden. Sie trennte sich von ihm, mal wieder. Nach jeder Trennung aber strebten sie wieder wie Magnete zueinander. Marinas Kinder litten unter den Dramen. Sie nannten Tolga „Mister T“ und waren froh, wenn ihre Mutter ihn wieder mal aus der Wohnung geworfen hatte.
In einer dieser Trennungsphasen holte Tolga den jüngsten Sohn vom Kindergarten ab. Dann rief er Marina an und sagte, er befände sich mit dem Jungen in einer anderen Stadt und würde ihn erst zurückbringen, wenn sie ihm verspräche, die Beziehung weiterzuführen. Marina schaltete die Polizei ein. Die Beamten brachten Tolga dazu, mit dem Kind zurückzukehren. Sie verzichtete auf eine Anzeige. Und wieder kamen sie zusammen.
Jahre vergingen, die Probleme blieben. Tolga schlug Marinas Bein so hart gegen die Heizung, dass sie glaubte, es wäre gebrochen. Er warf sich auf sie, ihre Rippen waren geprellt, sie hatte überall blaue Flecken. Er würgte sie. Er terrorisierte sie mit Anrufen. Sie zeigte ihn an. Wieder einmal. Diesmal kam es zu einem Prozess. Er wurde verurteilt wegen Körperverletzung, Nötigung und Nachstellung.
Aus der Haft heraus schrieb er ihr jeden Tag einen Liebesbrief, bald war ein ganzer Schrank voll. Tolga bedauerte, was er getan hatte, betonte, wie sehr er sie liebe. Marina besuchte ihn im Gefängnis. Wieder einmal glaubte sie, dass er sich ändern könnte: „Er hat so bereut“, sagt sie. „Und ich habe es ihm angerechnet, dass er es vor Gericht zugegeben hat: ‚Ja, ich habe sie geschlagen. Ja, ich war eifersüchtig.‘“
Als er nach knapp anderthalb Jahren entlassen wurde, hatte Marina einen gutbezahlten Job als Teamassistentin in einem großen Konzern. Sie kaufte für sich und ihre Kinder ein Haus. Tolga blieb vorerst in ihrer alten Wohnung. Nach anderthalb Jahren zog er zu ihr ins Haus.
Doch etwas hatte sich verändert. Marina fühlte sich nicht mehr genug beachtet. Sie verstand nicht, warum Tolga kaum noch mit ihr sprach und sich den ganzen Tag in seinem Zimmer hinter den Bildschirmen verschanzte. Auf einmal störte es sie, dass er kein Geld hatte. Nicht mal einen Urlaub konnte er sich leisten. Dabei hatte er doch inzwischen eine Ausbildung zum IT-Kaufmann absolviert. Sie organisierte ihm in ihrem Konzern einen Vorstellungstermin, er aber ging nicht hin.
Er habe damals angefangen, sich zurückzuziehen, sagt sie, er habe nie preisgegeben, was er den ganzen Tag gemacht hat. Sie habe gespürt, dass er sie nicht mehr so bedingungslos liebte wie am Anfang. Wenn sie heute in diesem kahlen Raum über ihn redet, nennt sie ihn selten beim Namen, spricht stattdessen vom „diesem Mann“, vom „Nebenkläger“, aber nicht von „Tolga”. Dass es am Ende so weit gekommen ist, dass sie diejenige ist, die inhaftiert wurde und das Interview für diesen Text im Besucherraum eines Berliner Gefängnisses führen muss, ist für sie vor allem eines: ungerecht…
Stern Crime, Heft 50, 16.08.2023